Von Leuchttürmen und Landschaftsgärtnerei
Mit der Sondierung der neuen Berliner Landesregierung im Sommer 2023 haben sich in Berlin einige neue Perspektiven für freie Kulturschaffende aufgetan. Die damit einhergehende Neuausrichtung der Förderpolitik geht für freie darstellende Künstler*innen mit Herausforderungen und Probleme einher, die ähnliche Entwicklungen wie in Städten wie Paris vermuten lassen. Dort hat sich eine oftmals kurzsichtige Kulturpolitik der Dezentralisierung durchgesetzt und konfrontiert darstellende Künstler*innen und die Institutionen, in denen sie inszenieren, mit komplexen Problemen.
Den Untergang einst unerschöpflich scheinender kreativer Möglichkeiten in Berlin zu beweinen, gehört in der Hauptstadt vielerorts schon länger zum guten Ton verschiedenster Kreativ-Bubbles. Doch diese Klagelieder nur als individuellen Disktinktions-Gestus zu verkennen, ließe die realen und beängstigenden Umstände der Raumverknappung und Verdrängung der Kunstszene der Stadt außen vor. So reiht sich dieser Text zwar möglicherweise in einen Chor aus kritischen Stimmen ein, der im Zuge der Ankündigungen zur Kürzung diverser Förderung noch lauter singt, dies aber in der Hoffnung tut, als Teil eines wirksamen, kollektiven Appels wahrgenommen zu werden. Einer, der interessiert ist, an der Aufrechterhaltung jener Ressource, die für alle Künste – aber die darstellenden im besonderen Maße – von zentraler Bedeutung ist: Raum. Für frei finanzierte darstellende Kunstprojekte brach mit Sommer 2023 und den landespolitischen Neuformierungen, die er mit sich brachte, eine monetäre Verknappungslogik endgültig in ihre Haushalte ein, womit ebendiese Ressource existenziell herausgefordert wird. Inzwischen haben unter anderem Standorte wie das Mensch Meier angekündigt, dass sie sich mit Ende des Jahres auflösen werden. Gleichzeitig bedroht der Ausbau der A100 eine Reihe an (Club-)Kulturstätten zwischen der Elsenbrücke und dem Ostkreuz und Projekträume wie beispielsweise das Zentrum für Kunst und Urbanistik in Moabit wurden vor die vollendeten Tatsachen von wegfallenden Förderungen gestellt.
Um ihre Räume bei steigenden Betriebskosten weiter bespielen zu können, bedürfte es bei all diesen Projekten und Zusammenschlüssen allerdings an nachhaltig finanzierten, millieuschützenden Perspektiven. Denn der gern verwendete Begriff der Kulturlandschaft zeigt spätestens seit den heißen und dürren Rekordsommermonaten 2023 Anzeichen investorischen Wucherwuchses. Doch bleibt es den meisten, die ebendiese Landschaft täglich hegen und pflegen, verwehrt die Früchte einer Politik der kulturellen Landschaftsgärtnerei zu ernten, welche die bereits seit Jahrzehnten in der lange hoch verschuldeten Bundeshauptstadt Betriebene, hervorbrachte. Aber bevor hier weitere Gartenmetaphern der Immobilienspekulation überhandnehmen, lohnt sich ein kurzer Blick auf die Qualitäten und Positivbeispiele des Status quo: Einen Hoffnungsschimmer bot hier der Verleih des Theaterpreises des Bundes an das Ballhaus Naunynstraße in Berlin Kreuzberg. Klar ist aber, dass eine Politik der Exzellenzförderung, die auf Projekt- statt strukturelle Förderung und Prozessentwicklung setzt, keine nachhaltigen Arbeitshorizonte bieten kann. So ist ein Theaterpreis, finanziert aus Mitteln des Bundesministeriums, nur ein Tropfen auf dem heißen Stein der städtischen Verknappung der Unterstützung für und Verdrängung von darstellender Kunst. Immer mehr Berliner Initiativen wie auch der Verein zeitgenössischer Tanz Berlin (ZTB) schlagen Alarm wegen der Ankündigung zu kürzender Etats. Auch die Schließung von Räumlichkeiten wie dem ehemaligen Gelände der Zukunft am Ostkreuz in der Laskerstraße haben direkten Einfluss auf die Spielräume der freien darstellenden Künste Berlins. So zog der vormals dort ansässige Verein Berliner Ringtheater e. V. auf das Areal der Alten Münze. 2024 soll das Ringtheater dann wieder am S-Bahn-Ring in der Neuen Zukunft spielen. Chronisch unterfinanzierte oder von Verdrängung bedrohte Vereine und andere Zusammenschlüsse verlieren mit dem Wegbrechen öffentlicher Finanzierung zunehmend an Grund und müssen ihre Strukturen laufend an neue Gegebenheiten anpassen. Die Sparte sieht sich mit einer selektiven Straffung konfrontiert, innerhalb derer sich keine strukturelle Permanenz entwickeln kann. Von einer breiten Förderlogik im Zeichen einer Demokratisierung und bedachten Dezentralisierung kultureller Praktiken jenseits der allseits bekannten Kulturtanker kann im Angesicht der sich bis Dezember 2023 in Bearbeitung befindlichen Kürzungen des Doppelhaushalts nicht die Rede sein. Jüngste Ankündigungen rund um eine Olympia-Bewerbung lassen vermuten, dass es kaum um Spar-, sondern um Umschichtungsmaßnahmen geht, die das Augenmerk auf Großprojektunterstützung legen.
Ich möchte an dieser Stelle den verteilungskämpferischen Debatten zwischen Groß und Klein nicht allzu viel Raum geben. Es kann für die Kultur- und Theaterlandschaft Berlins keinen Weg in eine Zukunft künstlerischer Weiterentwicklung und vielseitiger Produktion geben, wenn dieser von maroden Überbleibseln einst innovativer Projekte des sich gegenseitig ausstechenden Kulturbetriebs gespickt ist. Fruchtbarer wirken Taktiken der gegenseitigen Anerkennung, die über Neiddebatten hinwegsehen und über neue Formen der Erschließung und Fortführung nachdenken. Auch aus diesem Grund liefern Orte wie die Alte Münze oder das Haus der Statistik am Alexanderplatz als interdisziplinäre Räume der kollektiven Mitgestaltung utopische Visionen. Ich bin derzeit in Paris tätig. Eine Stadt, die oft als Worstcase herhält, was Gentrifizierung und die damit einhergehende Verdrängung von (darstellenden) Künstler*innen betrifft. Das Stadtzentrum hat heute überwiegend nur noch Platz für Theater-Flagships wie die traditionsreiche Comédie-Française oder das Odéon deren Ruf ein loyales Stammpublikum garantiert. Zwei Häuser, die trotz erstklassigen Programm und mehrerer Vermittlungsprogramme beinah ausschließlich Publika in ihre Säle holen, welche wenig von der vielfältigen Pariser Stadtgesellschaft jenseits ihrer prunkvollen Pforten erzählen. Gleichzeitig unterstützt das französische Kulturministerium seit längerer Zeit Initiativen der Zusammenkunft in den sogenannten Banlieues: den peripher gelegenen, als sozio-ökonomisch benachteiligt verschrienen Teilen der Metropolregion. Häuser wie das Théâtre Gérard Philipe (TGP) in Saint- Denis oder das Maison de la Culture des 93. départements (MC93) sollten zu Treffpunkten für darstellende Kunst und die lokale Bevölkerung werden. Allerdings zeigt schon ein einziger Besuch dieser Institutionen, dass Standort und finanzielle Möglichkeiten noch nicht alles sind. Statt das Publikum aus der direkten Umgebung einzubinden oder mit dem – zweifellos nicht minder herausragenden – Programm anzuziehen, haben sich die beiden zitierten Häuser eher zu Pilgerstätten für das demografisch homogene Pariser Kultur-Großbürgertum entwickelt. Man macht sich auf, um die unter der Woche zu relativ später Stunde (zwischen 20:00 – 21:30) beginnenden Veranstaltungen zu besuchen und danach so schnell wie möglich aus dem Staub. Dies scheint wenig verwunderlich, werden doch die Direktionen dieser Häuser vorwiegend mit Künstler*innen oder professionellen Kulturmanager*innen ohne persönlichen Bezug zu den Nachbar*innenschaften besetzt. Deren Fokus liegt weniger auf der Inklusion oder Integration lokaler Positionen, sondern ist eher an fortwährender institutioneller Förderung interessiert, die wiederum Wert auf programmatische Qualität legt. So entsteht der Eindruck, dass beispielsweise die Besetzung der MC93 mit der ehemaligen Direktorin des Theaterfestivals in Avignon (2015) eine weise Entscheidung im Sinne der künstlerischen Exzellenz, aber ein Sprint in die entgegengesetzte Richtung eines Demografie-übergreifenden Modus kultureller Koproduktion war.
Nicht zuletzt trägt eine derartige städtische Kulturpolitik zu einer Logik bei, der zufolge jene Häuser künstlerische Orientierungspunkte hin zu einem anzustrebenden Begriff der Hochkultur bieten. Man baute den Menschen in den Pariser Vororten Leuchttürme und strich gleichzeitig die Finanzierung lokaler Jugendtreffs, Mediatheken und Ähnlichem. Spätestens seit den 2010er-Jahren hat sich ein Vokabular der „Erschließung“ in den städteplanerischen Ansätzen der Pariser Kommunalpolitik etabliert. Die Wohnviertel an den Rändern der Hauptstadt sollen kulturell weiter aufgewertet und zugänglicher gemacht werden. Fragt sich nur, für wen dieser Zugang geschaffen wird? Die Suche nach Ansätzen der Verfügbarmachung von Freiräumen für darstellende Künstler*innen vor Ort, bleibt bisweilen eher erfolglos. Doch auch hier gibt es hoffnungsstiftende Ansätze; so bleibt beispielsweise der Pariser Vorort Montreuil ein vielseitiges Konglomerat aus Gruppen der traditionellen Arbeiter*innen- Klasse und weist gleichzeitig eine hohe Dichte an von Künstler*innen umgenutzten Räumen wie Garagen, alten Lagerhallen etc. auf. Ein zunehmendes Bewusstsein über die Notwendigkeit milieuschützender Ansätze garantiert dabei mittel- bis langfristig, dass dem auch in Zukunft so bleibt. Und zwar hoffentlich trotz Olympia 2024. Auch für Berlin lässt sich eine ähnlich strukturelle Raumverknappung für die freien darstellenden Künste konstatieren. Gleichzeitig geht diese mit einer ähnlichen Bespielung von urbanen Randgebieten einher. So zeig[t]en Projekte und Reihen wie die von 2019-2022 stattfindende Interventions-Serie disappearing Berlin, wie sich Immobilienspekulation auf die kulturelle Geografie der Bundeshauptstadt auswirken. disappearing Berlin legte den Fokus dabei auf periphere oder vom Verschwinden bedrohte Stätten, indem es diese gemeinsam mit Musiker* innen, Tanz- oder Theaterschaffenden bespielte. Auch die 2021 herausgegebene Publikation Andere Räume: Die freien Spielstätten in Berlin sucht mittels einer Bestandsaufnahme nach Möglichkeiten für die darstellenden Künste, hart umkämpfte Berliner Räumlichkeiten zu nutzen. Sie unterstreicht, wie die oben zitierte und historisch gewachsene Landschaft eine heute unter Druck stehende Heterogenität entwickeln konnte. Die reich bebilderten Porträts der verschiedenen Spielstätten geben Einblick in die diversen Raumlogiken, die jeder physische Ort mit sich bringt. Von diesen Logiken ausgehend lässt sich auf die einzelnen Missionen schließen, welche die künstlerischen Teams für ihre Häuser formulieren und mit den Publika vor Ort ausprobieren. Konstant scheint dabei die als ambivalent zu verstehende personelle Fluktuation, von denen diese Räume geprägt sind. Zum einen eröffnen die jungen Strukturen große Innovationsspielräume. Zum anderen stehen sie mit einer entsprechenden Instabilität und Diskontinuität in Verbindung, die für die Initiativen selbst oft zur Bedrohung werden. Diese Instabilität und ausbleibende institutionelle beziehungsweise strukturelle Förderungen sorgen häufig für eine Kurzlebigkeit der Projekte, die ihre Budgets enger schnüren oder ihre Räume ganz aufgeben müssen.
Es spannt sich also doch ein Verhältnis zwischen den Polen der konsequent stabil arbeitsfähigen Kulturtanker und kleinen Projekträumen mit limitierten Möglichkeiten für Formalisierung auf. Wie sich die (Um) Verteilung der für diese beiden Extreme bereitgestellten Budgets in den nächsten Jahren für Berlin darstellen wird, kann noch nicht beantwortet werden. Klar ist allerdings, dass mit der angekündigten Kürzung von Förderungen für Projekträume wie dem Sinema Transtopia im Wedding, dem Oyoun in Neukölln oder auch ortsübergreifenden Projekten wie dem XJAZZ-Festival die kulturelle Vielfalt Berlins mit existenziellen Bedrohungen konfrontiert ist. Ich glaube nicht, dass die Entwicklung der Landschaft der darstellenden Künste in Berlin zwangsläufig auf eine Zukunft im Pariser Stil blickt. Und dennoch erscheint die Entwicklung der französischen Hauptstadt wie eine düstere Vorbotin für eine Kulturpolitik, welche Räume für die darstellende Kunst nicht konsequent in ihre Vision des Milieuschutzes inkludiert.
Autoreninformation: Clemens Zoller lebt und arbeitet als Dramaturg derzeit zwischen Berlin und Paris. In seiner Zusammenarbeit mit Institutionen wie dem Maxim Gorki Theater, dem Zentrum für Kunst und Urbanistik, sowie Kollektiven wie Gob Squad hat sich der Zugang zu und die Bespielung des öffentlichen Raumes als zentrale Fragestellung für seine Arbeit herauskristallisiert.